Ghost Rockets - Die Geisterraketen von 1946: Schwedens rätselhafteste Himmelsjagd

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Ghost Rockets - Die Geisterraketen von 1946: Schwedens rätselhafteste Himmelsjagd

Von Chris Dimperl

Im Sommer 1946 blickte ein ganzes Land immer wieder nach oben. Über Schweden, Finnland und weiteren Teilen Nordeuropas zogen zigarren- und raketenförmige Objekte ihre Spuren: mal als helle, glühende „Geschosse“, mal als scheinbar lautlose Körper, die abrupt Kurs änderten oder – so berichteten Zeugen – in Seen einschlugen und ohne Trümmer zu hinterlassen versanken. Die Presse taufte das Phänomen „Ghost Rockets“, in Schweden bürgerte sich „Spökraketer“ ein. Was als vereinzelte Beobachtung begann, entwickelte sich binnen weniger Wochen zu einer Welle von Meldungen, die Militärs, Wissenschaftler und Geheimdienste gleichermaßen beschäftigte.

Herr Erik Reuterswärd - Ursprünglich vom schwedischen Militär für die Presse freigegeben. Quellen der Website: http://www.ufo.se/english/articles/ghostrocket.html http://www.project1947.com/gr/grchron1.htm Weitverbreitetes Zeitungsfoto der schwedischen "Geisterrakete", fotografiert am 9. Juli 1946 von Erik Reuterswärd, Guldsmedshyttan, Schweden.

Schon vor dem schwedischen Höhepunkt gab es Vorboten: Am 18. Januar 1946 sah der Pilot eines US-Transporters über Frankreich ein „Meteor“-ähnliches Objekt, das – entgegen jeder Meteorlogik – kurz verschwand, wieder aufstieg und eine kleine Hyperbel beschrieb. Solche Berichte wurden in den folgenden Monaten immer häufiger und führten dazu, dass man die Erscheinungen bald als „Geisterraketen“ bezeichnete, zunächst in Skandinavien, dann in weiten Teilen Europas.

In Schweden kulminierte die Welle zwischen Mai und September 1946. Die schwedische Verteidigungsführung (Försvarsstaben) richtete am 10. Juli eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe ein – mit Vertretern von Luftwaffe, Marine, dem Wehrforschungsinstitut und der Funkaufklärung –, um die Fälle systematisch zu sammeln und vor Ort zu prüfen. In einer zeitgenössischen Rekonstruktion ist festgehalten, wie Berichte zentral erfasst, an Luftverteidigung und Luftfahrtverwaltung weitergeleitet und bei „Einschlägen“ militärische Einheiten zum Einsatz geschickt wurden. Diese Professionalität war nötig, denn an manchen Tagen trafen Hunderte Meldungen ein.

Wie viele Sichtungen waren es tatsächlich? UFO-Sverige (UFO-Schweden) und das Archiv AFU, die seit Jahrzehnten in schwedischen Pressearchiven und Behördenakten forschen, geben für die „heiße Phase“ des Sommers 1946 eine Größenordnung von 997 registrierten Beobachtungen allein bei der Verteidigungsführung an – die tatsächliche Zahl der Sichtungen dürfte höher gelegen haben. Gleichzeitig zeigt die offizielle schwedische Auswertung, dass ein großer Teil dieser Meldungen mit natürlichen Himmelsphänomenen vereinbar war.

Der schwedische Luftwaffenoffizier Karl-Gösta Bartoll sucht nach einer "Geisterrakete", die am 19. Juli 1946 in den Kölmjärv-See stürzt. Schwedisches Militärfoto - Ursprünglich schwedisches Militärfoto (gemeinfrei) Eingescannt aus Reuben Stone, "Alien Worlds", 1993; im Buch der Fortean Library zugeschrieben

Ganz so einfach ließ sich das Rätsel aber nicht abtun. Am 10. Oktober 1946 veröffentlichte die schwedische Verteidigungsführung eine Bilanz, die nach dem Sichten von über 1 000 Berichten einen erheblichen Anteil gewöhnlicher Himmelserscheinungen zugestand – zugleich aber betonte, dass es „eindeutige, unmissverständliche Beobachtungen“ gebe, die weder als Naturphänomene noch als schwedische Flugzeuge erklärbar seien. Radarechos und andere Messwerte lägen vor, ohne dass sich daraus die Natur der Objekte erschließen ließ. Man fand zwar vereinzelt „Fragmente“, doch Analysen ergaben gewöhnliche Schlacken – ein Befund, der keine eindeutige Spur legte.

Einige Fälle wurden legendär. Besonders berühmt ist der mutmaßliche Einschlag in den Norrbotten-See Kölmjärv am 19. Juli 1946. Zeugen beschrieben ein graues, flügelbewehrtes, raketenähnliches Objekt, das in den See stürzte. Monatelange militärische Tauchaktionen suchten nach Belegen. Der zuständige Offizier Karl-Gösta Bartoll vermerkte, der Seeboden sei gestört worden; das Objekt habe sich vermutlich in der Luft oder im Wasser weitgehend zerlegt, möglicherweise aus leichtem, magnesiumhaltigem Material – deshalb gebe es so wenige Spuren. Sicher sei für ihn jedoch, dass es sich um reale, physische Objekte gehandelt habe. Trümmer fand man nicht.

Dass geschulte Besatzungen das Phänomen ernst nahmen, zeigen Berichte aus Militärflugzeugen. In einem inzwischen übersetzten Auszug aus den schwedischen Ghost-Rocket-Akte findet sich die Aussage eines B-18-Besatzungsmitglieds, das am 14. August 1946 ein „flugzeugartiges, flügelloses Objekt“ sah, das auf parallelem Kurs mit geschätzten 600–700 km/h davonzog – schneller, als die eigene Maschine mitkam. Das war deutlich über dem, was für ein Meteor in geringer Höhe und mit Manövercharakter sinnvoll wäre.

Auch jenseits Skandinaviens flammten Sichtungen auf – im September meldeten etwa britische Einheiten in Griechenland „Raketen“ über Makedonien und Thessaloniki, was die Diskussion zusätzlich anheizte. Die europäische Presse spekulierte über sowjetische Tests mit erbeuteter V-2-Technik. Doch sowohl die schwedische Bewertung als auch spätere Recherchen zeigen: Harte Belege für Raketenstarts aus bekannten Testgebieten fehlten, und die Sowjetunion wies die Vorwürfe scharf zurück.

Dass die Welle internationale Nachrichtendienste beschäftigte, ist heute gut dokumentiert. Bereits im August 1946 zog ein US-Dienstvermerk weitere „Ghost-Rocket“-Informationen aus Skandinavien heran; im selben Zeitraum beobachteten US-Militärattachés die schwedischen Untersuchungen aufmerksam. Zwei Jahre später notierte ein als „Top Secret“ eingestuftes USAFE-Fernschreiben (TT 1524) an die Luftwaffen-Nachrichtenführung, man solle die „spektakuläre“ Hypothese einer außerirdischen Herkunft nicht vorschnell verwerfen – ein Indiz dafür, dass einzelne Analysten angesichts widersprüchlicher Datenlage bewusst ergebnisoffen blieben. 

Was also blieb nach dem Sommer 1946? Ein differenziertes Bild. Zum einen ist klar: Ein großer Teil der Juli- und August-Meldungen fiel in die Zeit der Perseiden – und viele Beschreibungen passen zu Meteoren, Fehlinterpretationen und Medienhype. Zum anderen existiert ein Kern gut bezeugter Fälle, die mit „Meteor“ kaum vereinbar sind: niedrige Flughöhen ohne Explosionsgeräusch, scheinbare Kurswechsel, Radar-Korrelate, angebliche „Wasserlandungen“ ohne Fundlage und Sichtungen durch militärisch geschulte Crews. Schwedens Verteidigungsführung formulierte das nüchtern: Es gebe „klare“ Beobachtungen, die man weder natürlicherweise noch mit heimischen Flugzeugen erklären könne. Das war 1946 der Stand – und ist es in gewisser Weise bis heute geblieben.

Das Nachleben der Geisterraketen reicht bis in die Gegenwart. In der schwedischen Nationalarchive-Reihe „Arkivpodden“ wurde das Thema jüngst wieder aufgegriffen – inklusive der nüchternen Feststellung, dass die Försvarsstaben nie eine abschließende Erklärung fand. Und Forscher von UFO-Sverige/AFU suchten noch Jahrzehnte später in nordschwedischen Seen nach metallischen Anomalien, etwa nach einem viel diskutierten „Wasser-Ereignis“ in Nammajaure aus dem Jahr 1980. Gefunden hat man bislang nichts, aber die Spurensuche – akribisch, quellennah, mit Tauchgängen und Bodenscans – illustriert, wie sehr die Spökraketer das Land geprägt haben.

Einordnen, ohne zu vereinfachen

Warum üben die Geisterraketen bis heute eine solche Faszination aus? Zum einen, weil sie an einer neuralgischen Schnittstelle liegen: kaum ein Jahr nach Kriegsende, in einer Zeit technologischer Sprünge, Geheimhaltung und beginnender Blockkonfrontation. Zum anderen, weil die Akten – entgegen gängigen Mythen – weder das triviale „Alles waren Meteore“ noch das sensationelle „Alles waren Raketen“ hergeben. Was bleibt, ist ein Spektrum: von augenfälligen Fehlinterpretationen über sehr plausible Meteore bis hin zu wenigen, hartnäckigen Fällen, die sich einer einfachen Erklärung entziehen. Genau darin liegt ihr anhaltendes Rätsel – und ihr Wert als historisches Lehrstück über Wahrnehmung, Wissenschaft, Sicherheitspolitik und die Grenzen des Wissens.

Quellen & weiterführende Dokumente

  • Center for UFO Studies (CUFOS): Überblicksseite „Ghost Rockets“ mit Primärdokumenten (4 PDF-Sammlungen). Center for UFO Studies+2Center for UFO Studies+2

  • Loren E. Gross: UFO’s: A History – 1946: The Ghost Rockets (umfangreiche, quellengesättigte Chronik mit Zitaten aus Reuters/INS und schwedischen Verlautbarungen). sohp.us

  • AFU Newsletter 44 (Sept 2002): Übersetzung amtlicher Akten, u. a. Beobachtung aus einem schwedischen B-18-Bomber am 14. Aug. 1946. nicap.org

  • CIA Reading Room: Memo vom 23. Aug. 1946 zu Ghost-Rocket-Berichten in Skandinavien. CIA

  • USAFE TT 1524 (4. Nov. 1948): Top-Secret-Telecon-Hinweis, die ET-Hypothese nicht vollständig zu verwerfen (wiedergegeben in zeitgenössischen Auswertungen). sunrisepage.com

  • UFO-Sverige / AFU: Überblicksartikel „Spökraketerna“, Zahlenlage und Archivarbeit. ufo.se

  • Riksarkivet: „Arkivpodden – Spökraketer“ (Einordnung aus Archivsicht). Riksarkivet

 

Medien:

Ghost Rockets 1.pdf

Ghost Rockets 2.pdf

Ghost Rockets 3.pdf

Ghost Rockets 4.pdf

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Chris admin

Forscher, Programmierer, Technikbegeistertes Mitglied des CCC - Chaos Computer Club: Bisher habe ich immer nur Wissen gesammelt. Gerade die Arbeit an UFOBase und Abductionbase habe Unmengen an Datenmaterial hervorgebracht. Auch meine kurze aber sehr intensive Arbeit bei MUFON-CES hat viele neue Erkenntnisse zu Tage gefördert. Hier nun möchte ich einige dieser Geschichten und Daten weitergeben, so dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Einige dieser Geschichten kann man nicht rationell erfassen oder mit den Mitteln unserer Wissenschaft greifen oder begreifbar machen. Es liegt an uns, was wir daraus machen. Wie sagte Mulder einst so schön? MULDER: Also, wenn uns die konventionelle Wissenschaft keine Antworten bietet, müssen wir uns dann am Ende nicht doch dem Fantastischen als Möglichkeit zuwenden? In diesem Sinne wünsche ich Ihnen kurzweilige Stunden hier auf dieser Seite.

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